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Was bringen Hormone bei Wechselbeschwerden – und was nicht?

von: Christoph Fischer

Große klinische Studien bei postmenopausalen Frauen zeigen keinen Langzeitnutzen einer Östrogenbehandlung, sondern warnen vor möglichen Nachteilen. Einige Fachgesellschaften wollen das nicht wahrhaben und unternehmen immer neue Anläufe für ein Comeback. Aus den Daten von WHI 1+2 über 13 Jahre zieht die Arzneimittel-Kommission der Deutschen Ärzteschaft folgende Bilanz:

  • „Die Hormontherapie hat kaum irgend einen statistisch fassbaren prophylaktischen Nutzen, Thrombose, Schlaganfall, kardiovaskuläres Risiko sind bereits im ersten Jahr erhöht
  • bei sehr ausgeprägten klimakterischen Beschwerden sind für begrenzte Zeit auch Hormone eine sinnvolle Therapiemöglichkeit
  • sie sollten aber nicht für unbegrenzte Zeit eingenommen werden
  • de facto schiebt die Behandlung nur die Zeit der tatsächlichen Menopause (mit voraussichtlich gleichen oder ähnlichen Beschwerden) etwas hinaus.“ [1]

HintergrundINFO: Die früher breitest verordneten weiblichen Hormone zur Therapie von klimakterischen Beschwerden sind seit 20 Jahren in die Kritik geraten. Langzeitstudien bestätigen  – abgesehen von der Besserung der akuten Beschwerden – die weitgehende Nutzlosigkeit einer langfristigen Verordnung von Hormonen im Hinblick auf die Prophylaxe schwerwiegender Erkrankungen wie Herzinfarkt, Darmkrebs oder Depression. Auch die prophylaktische Wirkung gegen Osteoporose ist unsicher.[2]

Informierte Entscheidung zur Hormontherapie

Dieser Artikel soll Patientin und Arzt eine gemeinsame informierte Entscheidungsfindung ermöglichen. Durch das ärztliche Beratungsgespräch sollte die Patientin dazu in der Lage sein, die "Evidenz" über erwünschte und unerwünschte Auswirkungen subjektiv, im Rahmen ihrer Präferenzen, abzuwägen und zu einer Entscheidung zu gelangen. Empfehlungen und Nutzen/Risiko-Daten sind der S3-Leitlinie der AWMF: „Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause“[3] dem "Arzneitelegramm" und den Empfehlungen der U.S. Preventive Services Task Force[4] entnommen.

 

 

Wann wird eine orale Hormon-Therapie (HT) empfohlen?

  • bei sehr ausgeprägten klimakterischen Beschwerden können Hormone nach Aufklärung über die unvermeidlichen Risiken für begrenzte Zeit von maximal 1-2 Jahren empfohlen werden.

 

  • HT kann bei Frauen mit Eintritt des Wechsels vor dem 40. Lebensjahr nach Meinung der Experten bis zum durchschnittlichen Menopausealter durchgeführt werden - aber es gibt keine Daten zu Nutzen/Risiko im Vergleich zu normaler Menopause (45.-55.Lj)!

Wann soll eine kombinierte Hormongabe Östrogen + Progestron erfolgen?

  • Östrogene sind wirksam zur Behandlung von Hitzewallungen
  • Eine zusätzliche Gestagenbehandlung beeinträchtigt die Wirkung von Östrogenen nicht
  • Alleinige Östrogengabe erhöht das Endometrium-Karzinom-Risiko (Gebärmutterkrebs), eine kombinierte Östrogen + Progestron-Behandlung mit 12-tägiger Gestagenanwendung pro Monat erhöht das Risiko nicht
  • Deshalb wird Frauen die  kombinierte Östrogen-Gestageneinnahme empfohlen - soferne ihre Gebärmutter nicht entfernt wurde

Wann soll eine alleinige Östrogenbehandlung erfolgen?

  • Eine kombinierte Östrogen + Progestron-Behandlung erhöht das Brustkrebsrisiko
  • Eine alleinige Östrogenbehandlung erhöht das Brustkrebsrisiko weniger als eine EPT[5]
  • Deshalb wird Frauen nach Entfernung der Gebärmutter die alleinige Östrogeneinnahme empfohlen

Ist eine lokale Hormon-Therapie (in der Scheide) wirksam?

  • Eine vaginale HT ist zur Behandlung der symptomatischen Vaginalatrophie (Brennen Trockenheit, Schmerzen beim Verkehr) im Plazebovergleich nicht wirksam.
  • Vaginale Pilzinfektionen sind unter dem Östrogen 4x häufiger (8% vs.  Plazebo 2%)[6]
  • das Arzneitelegramm empfiehlt primär hormonfreie Scheidensalben, das frei verkäufliche Vagisan® entspricht in der Zusammensetzung den WHO-Empfehlungen

Wann ist eine Hormon-Therapie kontranindiziert (generell nicht erlaubt)?

  • Höhergradige Leberfunktionsstörungen stellen eine Kontraindikation der HT dar
  • Vorangegangene Thrombosen und Embolien
  • Brustkrebs (auch in der Vorgeschichte)
  • Endometriumkarzinom (Krebs der Gebärmutter)
  • nicht abgeklärte Genitalblutungen
  • Angina pectoris, Herzinfarkt

Gegen welche Beschwerden soll eine Hormonbehandlung laut Leitlinien nicht angewendet werden?

  • Die alleinige Verbesserung der Lebensqualität ist keine Indikation zur HT
  • Eine orale HT ist zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte nicht geeignet
  • Eine HT ist nicht zur Primär- oder Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit indiziert.
  • Eine Abmilderung der Alterungsprozesse der Haut durch eine HT ist nicht belegt
  • Eine Verminderung von Androgenisierungserscheinungen der Haut durch eine HT ist nicht belegt.
  • Eine HT hat keine positive Wirkung auf die Kognition („Vergesslichkeit“) bei älteren postmenopausalen Frauen.
  • Eine HT zeigt keine Besserung von Depressionen[7]
  • Eine kombinierte Hormonbehandlung senkt zwar das Risiko für kolorektale Karzinome, eine ET nicht, als Vorbeugung gegen Darmkrebs kann sie aber nicht empfohlen werden, weil die Risiken den Nutzen deutlich übersteigen (siehe nächster Kasten)

 Vorteile der Hormon-Therapie

Kombinierte Östrogen + Progesteron-Behandlung

  • NNT=250 Frauen müssen 1 Jahr behandelt werden um bei einer von ihnen einem Knochenbruch zu verhüten
  • NNT=700 zur Verhütung einer Neuerkrankung an Diabetes Typ2
  • NNT=1.700 Verhütung einer Darmkrebserkrankung

Östrogen-Behandlung

  • NNT=200 zur Verhütung eines Knochenbruches
  • NNT=500 zur Verhütung einer Neuerkrankung an Diabetes Typ2

Nachteile der Hermontherapie

Östrogen-Progesteron-Behandlung

  • NNH=11 eine von 11 behandelten Frauen bekommt eine Harninkontinenz
  • NNH=450 eine von 450 behandelten erkrankt an Demenz
  • NNH=500 für Gallensteinleiden
  • NNH=500 für Beinvenenthrombose oder Lungenembolie
  • NNH=1000 für einen Schlaganfall
  • NNH=1100 für Neuerkrankung an invasivem Brustkrebs
  • NNH=1250 für einen Herzinfarkt
  • NNH=2.600 für eine zusätzliche Eierstockkrebs-Erkrankung [8]

Östrogenbehandlung

  • NNH=8 für auftreten einer Harninkontinenz
  • NNH=300 für Gallensteine
  • NNH=800 für Demenzerkrankung
  • NNH=900 für Thrombose oder Lungenembolie
  • NNH=900 für einen Schlaganfall
  • NNH=2.600 für eine zusätzliche Eierstockkrebs-Erkrankung

HintergrundINFO: die NNT gibt an wie viele Frauen 1 Jahr Hormone einnehmen müssen, damit eine von ihnen einen Vorteil davon hat, würde jede Frau davon profitiren würe die NNT=1, hilft die Behandlung nur einer von 1000 lautet die NNT=1000, die Zahlen wurden gerundet.

Global Index

Zur Bilanzierung von Nutzen und Schaden der Hormontherapie wurde in der WHI-Studie ein so genannter Global Index definiert, in den – als durch Hormone potenziell positiv oder negativ beeinflusste schwerwiegende Ereignisse – Brustkrebs, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Lungenembolie, Endometriumkarzinom, Darmkrebs, Hüftfraktur und Tod wegen anderer Ursachen einflossen. Der Global Index weist auf ein Überwiegen des Schadens hin (HR 1,12; 95% CI 1,03-1,21).

Insgesamt erleiden danach jährlich 1.900 von 1 Mio. Frauen durch Hormone einen zusätzlichen schweren Gesundheitsschaden NNH=526/Jahr[9]

Die Risikobilanz von Östrogenen allein fällt etwas günstiger aus. Sie kommen aber nur für eine Minderheit der Frauen ohne Gebärmutter in Betracht.[10]

 

Wirken hormonfreie Medikamente gegen Wechselbeschwerden?

  • Isoflavonhaltige Nahrungsergänzungsmittel aus Soja und Rotklee oder eine phytoöstrogenreiche Ernährung vermindern Hitzewallungen nicht
  • Risiken können heute nicht ausreichend bewertet werden
  • Phytoöstrogene, andere pflanzliche und nichthormonale Therapien können nicht als Alternative zur HT empfohlen werden [3]

 

[1] https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201602/102h/index.php

[2] https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201602/102.pdf

[3] https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-062l_S3_Hormontherapie_in_der_Peri-_und_Postmenopause_2009_abgelaufen.pdf

[4]  Gartlehner G, Patel S, Viswanathan M, et al. Menopausal Hormone Therapy for the Primary Prevention of Chronic Conditions: An Evidence Review for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 155. AHRQ Publication No. 15-05227-EF-1. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; 2017.

[5] Eine HT erhöht das Risiko für lobuläre und tubuläre Mammakarzinome mehr als für duktale. Die HT kann Brustschmerzen und erhöhte mammographische Dichte mit Anstieg von falsch negativen Befunden hervorrufen

[6]  https://www.arznei-telegramm.de/html/htmlcontainer.php3?produktid=071_01&artikel=1808071_01k 

[7] https://www.infomed.ch/bdn.php?bdnid=202

[8] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11255422 (Eine HT erhöht das Ovarialkarzinomrisiko von 26/100.000/ Jahr auf 64/100.000; inwieweit Unterschiede zwischen ET und EPT bestehen, ist unklar)

[9] https://www.arznei-telegramm.de/html/2002_08/0208081_01.html

[10] MANSON, J.E. et al.: JAMA 2013; 310: 1353-68

 

erstellt 09.08.2018

Review: Matthias Lutz, Lisa Fischer - danke für den Hinweis auf at 8-2018!