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Schlaf- und Beruhigungsmittel

von: Christoph Fischer
  • Bei 95 % aller Befragten gibt es Schlafprobleme, in den meisten Fällen nur vorübergehend.
  • Ernsthafte Schlafprobleme haben etwa 13 - 20%. Die Ursachen sind vielfältig.

Inhalt

Einschlafprobleme

sind oft die Folge von Alltagssorgen aber auch von intensiver geistiger Arbeit. Manchmal ist ein Restless Legs Syndrom (RLS) der Grund.

Durchschlafstörungen

  • Abnahme der psysiologischen Schlafdauer: Senioren, die zu früh ins Bett gehen wachen nach 5 - 6 Stunden „mitten in der Nacht“ ausgeschlafen auf.
  • Depression geht oft mit Durchschlafstörung einher
  • Somatische Erkrankungen, wie Herzinsuffizienz, Schilddrüsenüberfunktion, Asthma, COPD und Schlafapnoe, können Insomnie verursachen.

 

HintergrundINFO Schlafmittel in der Entlassungsmedikation

Hier sei auf eine sehr häufige Ursache der dauernden Einnahme von Schlafmitteln hingewiesen: Im Medikamentenvorschlag nach Krankenhausaufenthalt finden sich häufig Schlafmittel, viele dieser Patienten benötigten vor dem KH-Aufenthalt keine Schlafmittel, wurden offenbar im Krankenhaus - aus welchen Gründen auch immer - mit Schlafmitteln versorgt. Schlafmittel führen bereits bei Einnahme über einige Wochen zu Abhängigkeit. Bei der Spitalsentlassung sollte der Hausarzt deshalb immer die Entlassungsmedikation mit dem Patienten durchgehen.

Schlafhygiene

Die Verschreibung eines Schlafmittels sollte nur nach Ausschluss verursachender Grunderkrankungen und bei Wirkungslosigkeit nicht medikamentöser Maßnahmen erfolgen.

Die Pharmainformation 13/2 empfiehlt als sinnvolle Schlafhygiene:

  • Zubettgehen zur richtigen Zeit
  • Vermeiden von Tagesschläfchen
  • Vermeiden von Schlafen vor dem Fernseher
  • Vermeiden stimulierender Getränke (z.B. Koffein im grünen und schwarzen Tee) am
  • Abend
  • Vermeiden von Alkohol, der typischer Weise nur das Einschlafen fördert und in der 2.
  • Nachthälfte Wachliegen bewirkt
  • Vermeiden von aufregender Lektüre und Sport zu spät am Abend
  • Meiden anderer Aktivitäten im Bett als Schlaf und Sex
  • Besonders negativ wirkt sich das krampfhafte Einschlafenwollen aus. Wenn der Patient nicht einschlafen kann, soll er nicht länger als 15 Minuten im Bett bleiben, sondern aufstehen, z.B. einen Apfel essen, sanfte Musik hören oder etwas Lesen, bis er schläfrig wird.

Medikamentöse Behandlung

Benzodiazepine

Die meisten gebräuchlichen Schlafmittel sind Benzodiazepine oder wirken am Typ-1- Benzodiazepinrezeptor. Grundsätzlich gibt es keine pharmakologischen Unterschiede zwischen den Benzodiazepinen, egal, ob sie als Schlafmittel, Tranquillizer oder Muskelrelaxantien zugelassen sind. Die wesentlichen Unterschiede beruhen nur auf der Halbwertszeit.

Halbwertszeit der Benzodiazepine

Sehr kurz wirksam

  • Triazolam (Halzion®) mit 2 - 3 h und
  • Zoldipem (Ivadal®) mit 2 h

kurz wirksam

  • Brotizolam (Lendorm®) mit 4 – 6 h

mittellang wirksam

  • Oxacepam (Oxahexal®, Anxiolit®, Adumbran®) mit 8 h

lang wirksam

  • Nitrazepam (Mogadon®) mit 30 h,
  • Flunitrazepam (Rohypnol®, Sommnubene®) mit 16 - 32h, beim Abbau entsteht ein aktiver Desmethyl-Metabolit mit einer HWZ von weiteren 28 h!

ultralang wirksam

  • Diazepam (Valium®, Gewacalm®, Psychopax®) mit 80 h. Durch mehrere ebenfalls hypnotisch / sedierend wirksame Metabolite erreicht das klassische Benzodiazepin Diazepam eine HWZ von 80 Stunden!

Nebenwirkungen

Tagesmüdigkeit

Insbesondere bei Substanzen mit langer HWZ mit erhöhtem Unfallrisiko. Stürze im muskelrelaxierten und benommenen Zustand verdoppeln z.B. das Schenkelhalsfrakturrisiko! Bei längerem Gebrauch wird eine sog. Pseudodemenz beobachtet.

Angstsymptomatik

Am nächsten Tag etwa Panikattacken, Depression, paranoide Ideen und unerklärte Ängstlichkeit. Wird vor allem bei kurz wirksamen Präparaten beobachtet.

Anterograde Amnesie und Schlafwandeln

Tritt ebenfalls häufiger bei kurzwirksamen Substanzen auf. Leider ist die schlafwandlerische Sicherheit ein Märchen, es wurden schwere Verletzungen beobachtet.

Toleranzentwicklung

Entwickelt sich bei längerer Einnahme. Sie ist der häufigste Grund von chronischen Insomnien, deshalb sind Benzodiazepine grundsätzlich nicht für den Dauergebrauch geeignet.

Verhaltensstörungen

Treten vor allem bei Patienten mit strukturellen Hirnerkrankungen auf. Es kommt zu paradoxer Wirkung, Schlaflosigkeit, psychomotorischer Unruhe und Aggression.

Abhängigkeit

Ist bei etwa der Hälfte der Patienten zu erwarten. Meist liegt diese in Form einer low-dose-dependence vor.

Entzugssymptome

Dazu zählen Schlaflosigkeit, Angst, Unruhe. Bei höherer Dosierung und bei kurzer HWZ sind die Symptome ausgeprägter.

Nutzen-Risiko-Abwägung

  • Eine Meta-Analyse im „British Medical Journal“ kommt zum Schluss,
  • dass bei über 60-Jährigen unter Hypnotika die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung höher ist
  • als die Aussicht auf einen verbesserten Schlaf (Infomed 2.12.2005)

Regeln bei der Verschreibung

Aus Pharaminformation 13/2 S5-6

„Eine Grundregel ist die strenge Indikation und das Vermeiden wahlloser Verschreibungen. Nur transiente und kurzzeitige Insomnien stellen eine Indikation für Schlafmittel dar. Aufnahme in ein Spital, die Nacht vor einer Operation, Schlaflosigkeit infolge Schmerzen, deren Abklingen in den nächsten Tagen vorauszusehen ist, und Schlaflosigkeit infolge belastender, zeitlich begrenzter Lebenssituationen sind sinnvolle Indikationen. Eine rigorose Verweigerung der Verschreibung von Schlafmitteln für Personen in akuten und schwerwiegenden Lebensschwierigkeiten ist unärztlich und kann gefährlich sein. Kurzschlusshandlungen, Verkehrsunfälle durch Übermüdung und Fehlhandlungen können die Folge sein. Problematisch ist die Indikation bei chronischen Insomnien.

Prinzipiell stellen chronische Insomnien keine Indikation dar.

Wirkungsverluste, Abhängigkeitsentwicklung, Tagesmüdigkeit und andere Nebenwirkungen sowie spezifische Kontraindikationen infolge des Grundleidens (z.B. Alkoholismus, Schlafapnoe) sind Gründe dafür. Andererseits sind es gerade chronisch Schlaflose, die den Arzt am häufigsten wegen Insomnie aufsuchen. Die Situation bei alten Patienten wird weiter unten besprochen. Bei chronischer psychophysiologischer Insomnie kann die kurzzeitige Verordnung von Schlafmitteln als begleitende Maßnahme der Verhaltenstherapie den Fehlzirkel durchbrechen. Die gleichen Dienste kann aber gelegentlich auch die Verordnung von Phytopharmaka, Teemischungen oder Placebos (siehe unten: schwach wirksame Mittel) tun. Im übrigen ist die chronische Insomnie ein ernst zu nehmendes Problem, das - wenn immer möglich - ätiologisch zu behandeln ist.

Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Indikation

Kurz wirksame Benzodiazepine haben den Vorteil des raschen Wirkungseintritts und fehlenden Tagesmüdigkeit, den Nachteil kompensatorischen Schlaflosigkeit und Ängstlichkeit, die Gefahr einer anterograden Amnesie, des Wachwerdens vor der erwünschten Zeit sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit von Entzugssymptomen.

Lang wirksame Medikamente kumulieren und hinterlassen Tagesmüdigkeit bis hin zur Pseudodemenz.

Mittellang wirksame Schlafmittel haben die Vor- und Nachteile beider Gruppen in abgeschwächter Form.

Immer wird man die niedrigste Dosis verschreiben. In der Praxis ist dieser Grundsatz gelegentlich zu relativieren. Bei akuter Schlaflosigkeit kann es sinnvoll sein, sofort eine höhere Dosis zu wählen. Auf diese Weise werden wiederholte Einnahmen mit zersplittertem Schlaf vermieden.

Intervalltherapie

In jeder Indikation sollen Schlafmittel mit strenger zeitlicher Begrenzung verordnet werden. Patienten sind vor Therapiebeginn ausführlich zu informieren. Die abgegebene Menge soll klein sein, Dauerrezepte sind unbedingt zu vermeiden. Erstreckt sich der Verordnungszeitraum über eine Woche, kann eine Intervalltherapie, z.B. jeden zweiten Tag, sinnvoll sein. Die Erfahrung, dass es auch ohne Tabletten geht, bedeutet für einen Patienten mit psychophysischer Insomnie manchmal Heilung. Die Intervalltherapie hat auch den Vorteil, dass eine allzu rasche Toleranzentwicklung vermieden wird.

Absetzen

Wegen der Gefahr der Rebound- und Entzugsphänomene soll das Absetzen nach längerem Gebrauch (1-2 Wochen) schleichend erfolgen. Dies gilt insbesondere für Benzodiazepine mit kurzer Halbwertszeit. Jene mit langsamer Ausscheidung hingegen bewerkstelligen das Ausschleichen quasi durch ihre eigene Pharmakokinetik.

Therapie der Insomnie im Alter

Schlafstörungen im Alter sind für Patienten, Angehörige, Pflegepersonal und Ärzte ein immenses Problem.  Die Pävalenz steigt von 9 % bei jungen Menschen (20 - 29 Jahre) auf 21 % im Alter (60 - 69 Jahre) an.  Viele ältere Personen haben Schwierigkeiten einzuschlafen, wachen in der Nacht immer wieder auf, erwachen früh am Morgen, dösen untertags und fühlen sich durch den Schlaf nie erfrischt. Daneben wirken aber auch eine Reihe körperlicher Erkrankungen, die mit dem Alter zunehmen, schlafraubend. Alte Menschen müssen meist eine Reihe von Medikamenten einnehmen, von denen einige stimulierend wirken. Schlechte Schlafgewohnheiten, Schläfchen untertags und Bewegungsmangel bis hin zu ständigem Liegen im Bett tun das ihrige.

Sundowning

Ein insbesondere für die Angehörigen gemeinschafts- und familienzerstörendes Symptom ist die nächtliche Unruhe („Sundowning") cortical abgebauter Patienten. Untertags können die Personen nahezu ungestört sein, mit Sonnenuntergang jedoch beginnt ein delirantes Syndrom mit Herumwandern, Schreien, sinnlosen Aktivitäten und Aggressionsausbrüchen während der gesamten Nacht. Die Behandlung dieser Zustände erfordert das gesamte Armamentarium von Psychopharmaka, wobei Schlafmittel nur eine untergeordnete Rolle spielen. Schlafmittel dürfen nur bei transienten und kurzdauernden Insomnien verschrieben werden. Schlafstörungen im Alter sind nahezu immer chronisch. Schlafmittel sind daher nicht indiziert, in vielen Fällen aus somatischen Gründen sogar ausgesprochen kontraindiziert. Es gibt auch Hinweise für eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Benzodiazepinen im Alter. Die Korrektur der o.a. schlechten Schlafgewohnheiten ist ein wichtiger therapeutischer Ansatz. Aller Theorie zum Trotz nehmen viele alte Menschen seit Jahren chronisch niedere Dosen eines Schlafmittels, obwohl sie auch damit schlecht schlafen. Fast nie gelingt ein Absetzen. Viele praktische Ärzte - auch wenn sie durchaus geneigt sind der Theorie zu folgen - werden sich nach zahlreichen frustranen Versuchen fragen, ob die Patienten nicht doch Recht mit ihrer resignativen Haltung haben.“

Medikamentöse Alternativen zu den Benzodiazepinen

Triazolam (Halzion®) und Zoldipem (Ivadal®) gehören strukturell nicht zu den Benzodiazepinen, unterscheiden sich in Wirkung und Nebenwirkungen aber nicht von diesen. Wegen der häufigeren Nebenwirkungen der kurz wirksamen Hypnotika sind sie keine Alternative.

Pflanzliche Präparate

Melisse und Hopfen (Passelyt®) sowie Baldrian (Rp. tinct. Valeriana), wirken bei einem Teil der Patienten schlaffördernd, eine Abhängigkeit ist nicht bekannt.

Antidepressiva

Unter den Antidepressiva sind auch sedierend schlaffördernde Vertreter. Grundsätzlich sehen wir aber nur für Amirtryptilin und Trazodon (Trittico®) eine - wegen QT-Verlängerung - eingeschränkte Indikation. Mirtazepin und Tolvon® bieten keine Vorteile gegenüber Amitryptilin, sind aber mit dem Agranulozytoserisiko behaftet! Bei Antidepressiva ist die Wechselwirkung mit anderen Psychopharmaka und Johanniskraut zu bedenken.

Absetzsyndrom unter Antidepressiva blitz-a-t 20.12.2019

„Lieferausfälle von Venlafaxin können für Patienten und die behandelnden Ärzte ein besonderes Problem darstellen: Relativ häufig ist nach plötzlichem Absetzen – also auch wenn die Versorgung mit dem Wirkstoff ausbleibt – mit quälenden Entzugserscheinungen zu rechnen. Stromschlag-artige bzw. Elektroschock-ähnliche Missempfindungen treten bisweilen bereits auf, wenn die Einnahme nur einer Tablette versäumt wird“

Neuroleptika

Ältere Antihistaminika (Dibondrin®) sind niedrig potente Neuroleptika, niedrig dosierte klassische Neuroleptika wie Dominal® und das sog. atypische Neuroleptikum Risperdal® werden auch als Schlaf -und Beruhigungsmittel eingesetzt.

 

Quelle: Leitfaden Allgemeinmedizin 2011 S: 258ff

siehe auch Kapitel Depression/Schlafhygiene

 

Erstellt 2-2020