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Wirkung der Antidepressiva

von: Christoph Fischer

 

Es gibt kein „Superantidepressivum“

  • Alle verfügbaren Substanzen erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt
  • Lediglich der Weg wie diese Erhöhung erzielt wird, unterscheidet sich bei den verschieden Stoffklassen
  • Die Wirksamkeit zwischen den verschieden Stoffklassen und Substanzen unterscheidet sich nicht relevant
  • Es gibt Zweifel an dem „Serotonin-Wirkprinzip“ (Bschor 36/7)
  • Auf ein Antidepressivum spricht jeweils nur die Hälfte der Behandelten an
  • Mit einem Wirkeintritt ist frühestens in 2-3 Wochen zu rechnen

 

 

Die Metaanalyse von Capari

prüfte die Effektstärke von 21 Antidepressiva[1]

Effektstärke

Klinische Relevanz

<0,2

unbedeutend

0,2 – 0,5

schwach

0,8 – 0,8

mittelstark

>0,8

Stark

2 – 4

Sehr stark

 

Die von Capari et al. ermittelte Effektstärke aller 21 Antidepressiva zusammengenommen beträgt 0,3

Dieser schwache Effekt deckt sich mit den täglichen Erfahrungen in der Psychiatrie:

  • Antidepressiva helfen,
  • aber zu wenigen Menschen,
  • oft nicht stark genug
  • und erst nach einer mehrwöchigen Verzögerung

 

 

„Aber es gibt ernst zu nehmende Argumente, dass selbst die von Cipriani ermittelte Effektstärke von 0,3 überschätzt ist und Antidepressiva tatsächlich noch schwächer wirksam sind“ (Bschor 79)

 

Die Meta-Analyse von Irving Kirsch

  • Der US-Psychologe gilt als Experte für den Placebo-Effekt.
  • In seiner Meta-Analyse aus 19 RCT’s streute die Effektstärke auffallend stark
  • In Studien in denen das Antidepressivum eine besonders schwache Wirkung zeigte,
  • war das Placebo nahezu unwirksam.
  • In Studien in denen das Antidepressivum hoch wirksam schien,
  • profitierten auch die Patienten der Placebo-Gruppe sehr gut von ihrem Scheinmedikament

Interpretation

  • daraus schloss er, dass die antidepressive Wirkung nur sehr wenig auf der pharmakologischen Wirkung beruht
  • sondern wesentlich vom Ausmaß
  • der Depression
  • der Zuwendung
  • und der Begleittherapie abhängt.

 

Anteil an der antidepressiven Wirkung nach Irving Kirsch

Chemisch pharmakologische Wirkung   

25%

Spontane Besserung im Verlauf

24%

Placebo-Effekt

51%

Warum die Antidepressiva-Wirkung in Studien überschätzt wird

  • Die Verblindung funktioniert in Studien häufig nicht
  • Selection Bias
  • Publikations-Bias
  • Studienplanung durch die Hersteller

Die Verblindung funktioniert in Studien häufig nicht

  • Ärzte und Patienten können an Hand der UAW's erkennen ob das Antidepressivum
  • oder ob das Placebo zum Einsatz kommt.
  • Wenn das bekannt ist, kommt es unweigerlich zur Verzerrung (Bias) der Resultate
  • Anntidepressiva wird eine höhere -
  • Placebos eine geringere Wirkung zugeschrieben
  • Einzige Alternative wären  „aktive Placenbos“ (Bschor 84ff)

Selection Bias

  • In RCT’s werden nur besonders geeignete Patienten eingeschlossen
  • in der Regel werden in Studien ausgeschlossen:
  • ältere Menschen
  • mit körperlichen und seelischen Begleiterkrankungen
  • Abhängigkeitserkerankungen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • oder mit Suizidrisiko

 

Auswirkungen der Selection-Bias

  • Patienten ohne diese Ausschlusskriterien haben eine höhere Chance auf ein Antidepressivum anzusprechen
  • Nur 22% der im klinischen Alltag behandelten erfüllen die Einschlusskriterien
  • Bei allen anderen gibt es somit keinen Wirknachweis durch Studien

 

Publikations-Bias

  • 74 Studien wurden der FDA für die Medikamentenzulassung vorgelegt
  • davon wurde nur jede zweite durch die FDA als positiv bewertet.
  • Nur 51 der 74 Studien wurden in einer Fachzeitschrift veröffentlicht,
  • in 48 davon schnitten die Antidepressiva besser ab als das Placebo
  • Das lag daran, dass 2/3 der von der FDA negativ beurteilten Studien nie veröffentlicht worden waren. (Bschor 86)

 

Studienplanung durch die Hersteller

  • Studien sind teuer und aufwändig
  • werden daher so gut wie immer von Herstellern organisiert und finanziert
  • daher werden Studien zum Teil so geplant,
  • dass das Antidepressivum gegenüber dem Placebo bevorteilt wird!
  • Lösung: öffentlich finanzierte Studien (Bschor 86)

 

Das Märchen vom Serotoninmangel

  • Ein Serotoninmangel konnte bei depressiven Menschen noch nie nachgewiesen werden
  • Die vielen Antidepressiva die Serotonin verstärken: Trizyklika, SSRI, SNRI, Auto-Rezeptor-Blocker
  • haben eine gleich stark ausgeprägte Wirksamkeit
  • wie Medikamente ohne Effekt auf Serotonin wie Bupropion (Wellbutrin®) und Maprotilin (Ludiomil®)
  • Tianeptin hat sogar eine abschwächende Wirkung auf Serotonin
  • unterscheidet sich in seiner Wirksamkeit aber nicht von den „Serotonin-Verstärkern“ (Bschor 89)

Serotonin ist kein „Glückshormon“

  • Es ist lediglich ein Neurotransmitter im synaptischen Spalt
  • Es verursacht  nicht pauschal positive Gefühle
  • Sondern sehr unterschiedliche Effekte, unter anderem:

 

Serotonin UAW

  • Übelkeit
  • Innere Unruhe
  • Sexuelle Störungen
  • Bei Kombination mehrerer Serotonin-verstärkenden Medikamenten droht das Serotoninsyndrom: Fieber, Verwirrung, Muskelzuckungen, Herzrhythmusstörungen (Bschor 90)

 

Literatur:

[1] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32802-7/fulltext

erstellt 2-2020